Transparente Interessenvertretung oder Einflussnahme hinter verschlossenen Türen?

 

Wien, 20.04.2015: Transparency International – Austrian Chapter präsentiert im Rahmen eines Pressegesprächs mit anschließender Podiumsdiskussion die erste umfassende Studie zum Thema Lobbying in Europa: Der Bericht „Lobbying in Europe: Hidden Influence, Privileged Access“ untersucht 19 EU-Mitgliedsstaaten und zeigt deutlich, dass dringender Reformbedarf sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene besteht.

Nur sieben der untersuchten Staaten verfügen über irgendeine Form von Lobbying-Gesetzgebung – dies bedeutet fast gänzlich unregulierten Einfluss von Wirtschaftsinteressen auf Entscheidungen, die das tägliche Leben der Bürger Europas beeinflussen.

In den vergangenen Jahren wurde das Thema verstärkt mit Skandalen in Zusammenhang gebracht. Der Begriff „Lobbying“ gleitet immer mehr ab und wird gerade in Österreich inzwischen in einem Atemzug mit „Mauschelei“, „Freunderlwirtschaft“ und Einflussnahme hinter verschlossenen Türen genannt.

„Diese Entwicklung ist besorgniserregend, denn der ständige Informationsaustausch zwischen Verbänden, Unternehmen und Interessengruppen auf der einen Seite und Politik, Parlament und Verwaltung auf der anderen Seite ist wichtiger Bestandteil eines demokratischen Systems.“, so Eva Geiblinger, Vorstandsvorsitzende von Transparency International – Austrian Chapter. „Der Grundgedanke von Lobbying und Interessenvertretung ist die Mitbestimmung, Mitsprache und Beteiligung der Menschen und Organisationen, die von gesellschaftlichen oder anderen Entscheidungen oder Entwicklungen betroffen sind. Doch diese Mitsprache muss hinreichend offen und transparent erfolgen.“

Das beste Ergebnis liefert Slowenien, das als einziges Land mehr als 50 % im TI-Ranking erreichen konnte – doch auch hier, wo solide Regelungen vorhanden sind, gibt es Mängel bei der Umsetzung und Verfolgung der Regelungen sowie dringend zu schließende Schlupflöcher. Am Ende der Liste finden sich Zypern und Ungarn mit jeweils nur 14 % – hier besteht in praktisch jedem untersuchten Bereich großer Nachholbedarf, besonders was den Zugang zu Informationen betrifft.

Österreich landet als eines der sieben Länder mit vorhandenen gesetzlichen Regelungen für Lobbying auf Platz vier. Positiv wird von TI hervorgehoben, dass Österreich als einziges Land einen verpflichtenden Code of Conduct von Lobbyisten fordert. Allerdings gibt es auch zahlreiche Mängel an der gegenwärtigen Gesetzgebung, auf deren Beseitigung Transparency International – Austrian Chapter seit der Veröffentlichung des Österreich-Berichts am 3.12.2014 drängt:

  • Einsicht ins Lobbyisten-Register: Die Möglichkeit, Kenntnis zu erlangen, wer, wann, bei wem, wofür und gegen welchen Betrag lobbyiert hat, ist in der gegenwärtigen Form des Lobbyisten-Registers praktisch ausgeschlossen, sodass es diesbezüglich keine ausreichende Transparenz verschafft.
  • Gleichstellung aller Lobbying Betreibenden: Viele Gruppen, die Lobbying betreiben, sind weitgehend oder zur Gänze von den Regelungen des Gesetzes ausgenommen. Wenn tatsächlich Transparenz in der österreichischen Lobbying-Szene geschaffen werden soll, wäre es notwendig, hier Gleichheit aller Lobbying Betreibenden zu schaffen. Beurteilungskriterium soll allein die Tätigkeit selbst, und nicht die Stellung oder Funktion des Lobbyisten sein.
  • Effektive Kontrollmechanismen: Das Lobbying-Register ist seit 1.1.2013 in Kraft und weist eindeutige Lücken auf. Bislang wurden noch keine der im Gesetz vorgesehenen Sanktionen umgesetzt – einerseits aufgrund der dezidierten Ausnahme von zwei der vier im Gesetz definierten Gruppen von jeglichen Sanktionen, andererseits fehlt es an Kontrollmechanismen.
  • Beidseitige Offenlegungspflichten: Das Lobbying-Register ist zwar ein erster Schritt in Richtung Transparenz auf Seiten der Lobbyisten. Umgekehrt gibt es aber keinerlei Offenlegungspflichten für die Lobbyierten.
  • Schlupflöcher beseitigen: Zwar verbietet das Lobbying-Gesetz Politikern und öffentlich Bediensteten die Tätigkeit für eine Lobbying-Agentur oder als selbständiger Lobbyist; eine Nebentätigkeit in einem privatwirtschaftlichen Betrieb ist jedoch (meldepflichtig) erlaubt – auch in dessen PR- bzw. Lobbying-Abteilung. Hier gilt es, Gesetzeslücken zu schließen.
  • „Cooling-off“-Phase für Politiker: Derzeit gibt es in Österreich keinerlei verpflichtende „Cooling-off-Phase“ für Politiker und Beamte vor deren Wechsel von der Politik in die Wirtschaft. Firmen können also gezielt Minister und Ministerinnen, aber auch hohe Beamte und Beamtinnen anwerben, damit sie in ihrer neuen Position bei der Regierung für ihren Arbeitgeber lobbyieren. „Transparency International – Austrian Chapter fordert eine Wartezeit von mindestens einem Jahr vor dem Wechsel in ein Unternehmen, wenn ein Zusammenhang zwischen der bisher ausgeübten Tätigkeit und der nach dem Ausscheiden aus dem Dienst beabsichtigten Tätigkeit besteht.“, so Eva Geiblinger.

Auch Lobbyisten selbst fordern sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene mehr Transparenz. Es ist im Interesse aller, wenn sachlicher und seriöser mit der Trennung von Lobbying als demokratiepolitisch legalem und legitimem Instrument der Interessenvertretung und Korruption als klar definiertem Strafrechts-Verstoß umgegangen wird. Lobbying muss weg vom negativen Image der Deals hinter verschlossenen Türen, hin zu offener und transparenter Interessenvertretung!

 

Der Bericht „Lobbying in Europe. Hidden Influence, Privileged Access“ wurde im Rahmen des Forschungsprojekts „Lifting the Lid on Lobbying“ von Transparency International in Zusammenarbeit mit TI-Chaptern in 19 EU-Mitgliedsstaaten erstellt. TI hat sich mit diesem Forschungsprojekt zum Ziel gesetzt, nicht nur ein Bild der derzeitigen europäischen Lobbying-Landschaft zu schaffen, sondern einen Beitrag zu transparenterem und verantwortungsvollerem Lobbying sowohl auf EU-Ebene als auch in den einzelnen teilnehmenden Mitgliedsstaaten zu leisten.

Download der internationalen Studie „Lobbying in Europe“: http://www.transparency.org/whatwedo/publication/lobbying_in_europe

 

Kontakt für Rückfragen:
Transparency International – Austrian Chapter
Thomas Gradel
Tel.: +43 (0)1 960 760
E-Mail: office[at]ti-austria.at