Impulsgeber für Innovationen oder Gefahr für Unabhängigkeit von Forschung und Lehre?

 

Wien, 26.09.2017: Die Bedeutung von sogenannten Drittmitteln zur Finanzierung von Forschung und Lehre hat für Hochschulen in Österreich in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen stellen einen wichtigen Innovationsfaktor für den Wirtschaftsstandort Österreich dar. Neben der Zusammenarbeit mit den klassischen nationalen und supranationalen Forschungsförderungseinrichtungen kooperieren Hochschulen zunehmend mit Unternehmen und privatwirtschaftlichen Stiftungen. Mithilfe des finanziellen Engagements solcher Partner können beispielsweise Studierende direkt mittels Stipendien unterstützt, konkrete wissenschaftliche Projekte (Auftragsforschung) gefördert sowie Professuren (Stiftungsprofessuren), Forschungszentren und ganze Forschungsinstitute eingerichtet werden. Darüber hinaus sind Wirtschaft und Industrie auch wichtige Impulsgeber für neue Forschungsfragen und das Entstehen von Innovationen.

Während die Vorteile derartiger Wissenschaft-Wirtschafts-Kooperationen auf der Hand liegen und diese insbesondere in angelsächsischen Ländern weit verbreitet und anerkannt sind, treffen entsprechende Initiativen im deutschsprachigen Raum häufig auf Skepsis und werden mit unzulässiger Einflussnahme sowie Einschränkungen für die Freiheit in Forschung und Lehre assoziiert.

Aus diesem Grund hat Transparency International – Austrian Chapter (TI-Austria) die Arbeitsgruppe „Academic Governance“ ins Leben gerufen. Diese stellt eine Multi-Stakeholder-Plattform für VertreterInnen aller beteiligten Interessensgruppen (u.a. Bundesministerien, Hochschulen und Hochschulkonferenzen, private Drittmittelgeber, HochschülerInnenschaft) dar, welche sich gemeinsam mit diesem Thema beschäftigen.

Konferenz im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft

Am 26. September veranstaltete TI-Austria gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) und der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) zum Thema „Drittmittel an österreichischen Hochschulen“. Dabei wurden mögliche Konfliktbereiche thematisiert und entsprechende Lösungsansätze, insbesondere in Form von geeigneten Transparenz-Instrumenten, erörtert. Zu diesem Zweck diskutierten VertreterInnen aller Hochschularten gemeinsam mit EntscheidungsträgerInnen aus Industrie und Wirtschaft die Chancen und Risiken privater Drittmittel und stellen ‚best practices‘ gelebter Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen vor.

Stimmen zur Konferenz:

Eva Geiblinger, Vorstandsvorsitzende von TI-Austria: „Laut Angaben der OECD fließt jedes Jahr rund eine halbe Milliarde Euro aus der Privatwirtschaft an die insgesamt 69 österreichischen Hochschulen – mit steigender Tendenz. Dabei bleibt jedoch völlig im Dunkeln, welche Unternehmen welcher Hochschule wie viel Geld zu welchem Zweck zur Verfügung stellen. Eine zu große Nähe von Forschung und Wirtschaft kann womöglich zu Interessenskonflikten, direkten oder indirekten Beeinflussungen der Forschungsergebnisse und letztlich einer Ausrichtung der gesamten Forschung an Interessen der privaten Geldgeber führen. TI-Austria fordert daher, Verträge zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sowie aus dem Bereich der Privatwirtschaft stammende Finanzmittel an allen Hochschulen verpflichtend zu veröffentlichen sowie nach Mittelherkunft und Verwendungszweck aufzugliedern.“

Markus Scholz, Stiftungsprofessor für Corporate Governance & Business Ethics an der FHWien der WKW und Leiter der Arbeitsgruppe Academic Governance bei TI-Austria: „Ich freue mich, dass wir das Thema ‚Transparenz von Drittmittelkooperationen‘ auf die Agenda der EntscheiderInnen an den Hochschulen bringen konnten. Kooperationen zwischen Industrie und Wissenschaft sind wichtig und in Zeiten zu geringer staatlicher Finanzierung von Hochschulen unumgänglich. Dennoch brauchen wir einen intensiveren öffentlichen Diskurs zu diesem Thema. Die Reputation der Wissenschaft ist zu wertvoll, um sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen.“

Elmar Pichl, Leiter der Sektion für Universitäten und Fachhochschulen im BMWFW: „Im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung von Drittmitteln auf Wissenschaft und Forschung ist es wichtig, dass entsprechende Chancen ebenso wie Risiken offen angesprochen werden. Die heutige Veranstaltung ist daher als ein wertvoller Beitrag für einen verantwortungsvollen Diskurs zum Thema zu sehen.“

Paul Kellermann, Institut für Soziologie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt: „Drittmittelförderung von Hochschulen findet in einem komplexen System von Interessen und Rahmenbedingungen statt. Die individuellen Interessen hängen soziologisch gesehen wesentlich von der jeweils eingenommenen Rolle innerhalb einer Institution ab. Institutionen überdauern in der Regel die Lebenszeit von Personen, so dass auch von Eigeninteressen der Institutionen gesprochen werden kann, die von den sie repräsentierenden Personen wahrgenommen werden sollen. Hochschulen können teilweise gleiche, teilweise entgegengesetzte Interessen haben, ebenso wie Fördereinrichtungen. Die einschlägigen Interessen der Gesellschaft sind ohnehin widersprüchlich in sich wie auch gegenüber Personen und Institutionen.“

Karl Peter Pfeiffer, Rektor der FH JOANNEUM: „Die Kooperation mit der Industrie, Wirtschaft und öffentlichen Einrichtungen ist ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung an Fachhochschulen und zum Nutzen für Studierende als auch für die Weiterentwicklung des Lehr- und Forschungspersonals. Third Mission, der Wissenstransfer von der Hochschule zu Unternehmen und umgekehrt ist eine Win-win-Situation. Third Mission berücksichtigt gesellschaftliche Werte und ethische Prinzipien bei der Auswahl der Kooperationspartner und der Projekte. Für viele Projektanträge, wie z.B. für Josef-Ressel-Zentren, ist eine Kooperation mit Unternehmen Voraussetzung. Die FH JOANNEUM bekennt sich zur institutionalisierten Kooperation mit der Wirtschaft und Gesellschaft. Wir leben diese Kooperation und erleben sie als sehr befruchtend für beide Seiten. Third Mission ersetzt jedoch nicht die unabhängige, staatliche Forschungsförderung, die es für die FHs noch auszubauen gilt.“

Günther Lutschinger, Fundraising Verband Austria: „Mit einem professionellen Fundraising ließen sich die Spendeneinnahmen für Österreichs Hochschulsektor leicht verdoppeln. Allerdings sind Transparenz und Exzellenz in der Forschung eine Grundvoraussetzung dafür.“ 

Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung: „Gerade als kleine, exportorientierte Volkswirtschaft ist es für Österreich notwendig, in F&E und Innovation zu investieren und nach der Spitze zu streben. Nur durch innovative, hochqualitative Produkte, Dienstleistungen und neue Geschäftsmodelle ist eine Differenzierung am Weltmarkt möglich. Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind essentielle Partner für Unternehmen – als Ausbildungseinrichtungen und in Forschungskooperationen. Um letztlich Ideen bis zum Markt entwickeln und für die Menschen verfügbar machen zu können, braucht es eine starke Brücke zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung. Wissenschaft und Wirtschaft ist als Gesamtsystem zu verstehen, um einen starken Forschungs- und Innovationsstandort Österreich und den gewünschten Output zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.“

Marita Gasteiger, Vorsitzteam der Bundesvertretung der ÖH: „Die ÖH Bundesvertretung beobachtet die Entwicklungen im Bereich der Hochschulfinanzierung mit Sorge. Insbesondere die Finanzierung von Betreuungsstellen durch Drittmittel hat schwerwiegenden Einfluss auf die Studierenden. Je mehr Zeit Lehrende mit dem Anwerben von Drittmittel verbringen, umso weniger Zeit bleibt für Lehre und die Betreuung der Studierenden. Studierende können von angewandter Forschung und Lehre oftmals profitieren. Die Finanzierung durch Drittmittel darf allerdings keinen Einfluss auf den Stellenwert der Grundlagenforschung und die Qualität des Studiums haben. Die Hochschulen müssen im Interesse der Studierenden öffentliche Forschungs- und Bildungseinrichtungen bleiben. Dazu gehört eine umfassende öffentliche Finanzierung.“

Studie zu Interessenskonflikten bei Drittmittel-Kooperationen

TI-Austria wird direkt im Anschluss an die Konferenz eine Studie zum Thema „Drittmittel an österreichischen Hochschulen“ durchführen. Diese befasst sich mit Formen von Interessenkonflikten, die an Hochschulen im Kontext von Drittmittel-Kooperationen typischerweise auftreten können. Das Ziel besteht darin, festzustellen, in welchem Ausmaß und in welcher Form Interessenskonflikte vorhanden sind, und inwiefern Verbesserungsmöglichkeiten bestehen.

Alle österreichischen Hochschulen werden gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, welcher diverse Themen im Kontext „Drittmittel an österreichischen Hochschulen“ adressiert. Mit der Beantwortung dieses Fragebogens tragen die Hochschulen dazu bei, einem möglichen negativen Image der Drittmittelfinanzierung entgegenzuwirken und die Vorteile, die aus dieser Finanzierungsform für alle Beteiligten erwachsen, langfristig zu sichern. Diese Studie dient als Grundlage, ‚best practices‘ für ein transparentes und für alle Beteiligten vorteilhaftes Management von Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen zu erarbeiten.

 

Kontakt für Rückfragen:
Transparency International – Austrian Chapter
Thomas Gradel
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